Der Mensch ist ein zutiefst soziales Wesen.
Dies ist eine der größten Stärken der Gattung Homo Sapiens. Soziales Miteinander ermöglicht Kooperation und schafft damit Voraussetzungen für außerordentliche Leistungen, die ein Einzelner so nie schaffen würde. Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob nun ein Mensch oder zehn oder hunderte eine Aufgabenstellung bearbeiten bzw. zu lösen versuchen. Unser soziales Gefüge bietet uns Schutz und Geborgenheit und ist die Grundlage für den gewaltigen evolutionären Erfolg der Gattung Homo Sapiens. Aber hier sind auch gleichzeitig Schwächen verortet. Unser Bedürfnis nach sozialer Interaktion ist riesig. Wir sind abhängig von sozialem Miteinander. Nicht zuletzt Facebook, Twitter, Instagram & Co zeigen dies sehr deutlich auf.
Damit ein soziales Gefüge stabil bleibt müssen gewisse Spielregeln eingehalten werden.
- Diese Spielregeln sind in unseren Werten kodiert.
- Einer der wichtigsten Werte auf dem sozialen „Spielfeld“ ist die Anerkennung.
Anerkennung ist einer der wichtigsten psychologischen Grundbedürfnisse für ein Individuum.
Was passiert, wenn wir keine Anerkennung bekommen?
- Bleibt für ein Mitglied einer Gruppe dauerhaft Anerkennung aus bzw. ist nicht in einem ausreichenden Maße vorhanden, verliert diese signifikant an Selbstwertgefühl und erleidet auf Dauer seelische Störungen.
- Gleichzeitig sinkt die Leistungsbereitschaft dramatisch und die Person grenzt sich aus der Gruppe aus und verliert die Loyalität zu dieser.
- Gegenseitige Anerkennung ist unabdingbar für jedwede Art des Zusammenlebens.
- Sei es Ehe, Freundschaft, Beruf, Schule, Politik und andere soziale Interaktionen.
Die ehemalige Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein Heide Simonis, soll es einmal so formuliert haben „Wenn ich zehn Meter auf der Straße gehe, ohne von jemanden erkannt zu werden, verfalle ich in tiefste Depressionen.“ Dies ist sicherlich eine extreme Ausprägung des Bedürfnisses nach Anerkennung. Nichtsdestotrotz zeigt es auf, welche Bedeutung Anerkennung für uns Menschen hat.
Bereits 1796 schrieb Johann Gottlieb Fichte: „Im wechselseitigen Auffordern zu freiem Handeln und im Begrenzen der eigenen Handlungssphäre zugunsten des Anderen bildet sich sowohl individuelles wie gemeinsames Bewusstsein – eines ist nicht ohne das andere“. Eines ist nicht ohne das Andere. Diese Textpassage bringt die Bedeutung von Anerkennung ziemlich genau auf den Punkt.
Den meisten Menschen ist diese Abhängigkeit nicht bewusst. All den Menschen, welche nahezu minütlich ihre Facebook oder Instagram Accounts auf dem Smartphone checken, werden wohl kaum daran denken, dass hier „die „Sucht“ nach Anerkennung eine entscheidende Triebfeder ist. Und auch wenn man Ihnen dieses Anerkennungstool wegnimmt und manche Entzugserscheinung Merkmale wie bei einem Drogenentzug zeigen, wird den wenigsten bewusst sein, welche Mechanismen hier gerade am Werk sind. Erfährt ein Mensch Anerkennung, schüttet das Gehirn Dopamin aus.
Der Neurotransmitter Dopamin ist auch bekannt als „Glückshormon“ bzw. als Glücksbotenstoff und verschafft uns kurzfristig einen Kick, ein Hochgefühl und kann süchtig machen. Extremsportler sind hier nur ein Beispiel.
Anerkennung in Krisensituationen?
Die Bedeutung und Kraft von Anerkennung zeigen sich besonders in extremen Situationen. Zu beobachten ist dies momentan in der Corona-Krise. Waren noch vor vier Wochen die Bedeutung von Kassiererinnen, Pflegekräften und andere Berufsgruppen völlig unter dem Radar bei den Meisten, stehen nun Menschen auf dem Balkon und applaudieren diesen Berufsgruppen und sie werden als Helden bezeichnet. Interessant wird sein, ob diese Einstellung bzw. Einsicht („Eines ist nicht ohne das Andere“, Fichte) auch nach der Krise Bestand haben wird. Aber das ist ein anderes Kapitel.
Wie ist es um Anerkennung in normalen Zeiten bestellt?
Stellt sich nun die Frage, wie es um die gegenseitige Anerkennung in normalen Zeiten bestellt ist. Wann geben wir Anerkennung? Wann erfahren wir Anerkennung und welche Formen der Anerkennung brauchen wir? Fest steht – ein jeder von uns braucht Anerkennung. Ziemlich sicher ist auch, dass es nicht gleich der Nobelpreis sein muss. Gegenseitige Anerkennung beginnt im Kleinen im täglichen Miteinander.
Astrid Göschel beschrieb in ihrer Podcast-Episode zu Werten einen Effekt in Zeiten von Corona. Beim Einkaufen, auf der Straße schauen die Leute weg, aktiv weg. Dies empfindet sie als eine Verletzung der täglichen minimalen Anerkennung – dass ich den Anderen wahrnehme, bzw. gewillt bin, ihn oder sie wahrzunehmen. Eine ganz simple Form der alltäglichen gegenseitigen Anerkennung wird hier „verweigert“. Die Folge ist für viele ein ungutes Gefühl.
In diesem Kontext viel mir eine Eigenheit aus dem Film Avatar ein. Dort war es Sitte, bei den Einheimischen von Pandora sich mit dem Satz „Ich sehe Dich“ zu begrüßen. Nicht in dem Sinne: Physikalisch gesehen projiziert meine Netzhaut ein Bild deiner Person, sondern vielmehr: Ich nehme Dich wahr und respektiere Dich. Ich bezeichne ein solches Verhalten auch gerne als „Mentale Hygiene“, denn es tut beiden Seiten, allen Beteiligten gut.
Dies bringt mich zurück zu den Kassiererinnen. Außerhalb von Corona Zeiten werden diese von vielen Menschen gerne „übersehen“, nicht wahrgenommen. Vielleicht sogar im Verbund mit dem Gedanken: „Hättest in der Schule mal aufgepasst…“. Dabei kann ein anderes Verhalten meinerseits mir mein Quantum an Anerkennung einbringen. Wenn ich der Kassiererin ein paar freundliche oder persönliche Worte zukommen lasse und dafür ein dankbares Lächeln oder ebenfalls freundliche Worte erhalte. Jeder, der dies schon einmal ausprobiert hat, weiß, wie gut sich das anfühlt. Und das ist bereits die erste Lektion in Sachen Anerkennung. Es beginnt damit, dass ich Anerkennung gebe, auch und gerade im „kleinen“ alltäglichen Kontext, mit winzigen Gesten.
Kultiviert man ein solches Verhalten, trägt man dazu bei, dass die Gesellschaft ein klein wenig weniger kalt ist und das „soziale Schmiermittel“ Anerkennung, welches wir alle brauchen, für alle Beteiligten verfügbar ist und sein gutes Werk tun kann.
Denn eine solche Interaktion stärkt das Selbstvertrauen, hebt die Laune, steigert das Wohlbefinden und stärkt das Immunsystem. Welchen spürbaren Effekt dies haben kann, kennen vielleicht die meisten. Ein kurzer Flirt mit den Augen, möglicherweise nur ein, zwei Sekunden, irgendwo auf der Straße, in Bus oder Bahn kann einen ganzen Tag zu einem besonderen machen. Das ist die Macht von Anerkennung schon im Kleinen. Und gewissermaßen ein Konzept für ein erfolgreiches Selbstcoaching.
Hier schließe ich mit einem Zitat:
“Wer mit Anerkennung knausert, spart am falschen Ort.”
Dale Carnegie
Verfasser: Herr Gerold Becher (Dipl. Neurobiologe), leidenschaftlicher Rhetoriktrainer und ein echtes “Hirnfreundchen®”.
Vielen Dank für diesen wunderbaren Artikel!
Herzliche Grüße,
Deine Astrid (Göschel) M.A.
Bist Du Dir dieser Abhängigkeit bewusst?
Hast Du Dich schon einmal gefragt, wie sich Deine soziale Abhängigkeit auf Dein Verhalten, Deine Gedanken, Deine Entscheidungen, Deine Werte und Ziele auswirkt? Gibt es ein besonderes Ereignis, das Dir dabei in den Sinn kommt. Ich freue mich auf Deine Perspektive zum Thema. Hinterlasse dazu gerne einen Kommentar oder eine Bewertung!